Besuch im Büro von Amnesty Katalonien (Amnistía Catalunya, AIC) in Barcelona Anfang Oktober 2017

Eine helle Wohnung im ersten Stock eines älteren, gepflegten Gebäudes im Barceloneser Stadtteil Sant Gervasi mit 2 oder 3 relativ großen, hellen Räumen: ich komme unangemeldet ins Büro von Amnesty Katalonien und freue mich, dass Alba Herrera, verantwortlich für „Activisme“, sich noch vor der Mittagspause mir und meinen Fragen widmet. Alba und weitere vier Hauptamtliche sind bei Amnesty angestellt und betreuen jeweils eines der 5 Referate Aktionen – Finanzen – Kommunikation – Lobbyarbeit („incidencia politica“) und Koordination. Dass in diesem für deutsche Verhältnisse großen Bezirk ein Amnesty-Büro mit gleich fünf Angestellten eingerichtet wurde, war eine Reaktion auf Forderungen der katalanischen Amnesty-Mitglieder: sie wünschten sich hauptamtliche Unterstützung nicht nur aus Madrid, wo etwa 50 Hauptamtliche im apanischen Amnesty-Sekretariat arbeiten.

Das Büro ist in Barcelona ist so etwas wie das Regionalbüro für Katalonien, wo es 20 Amnesty-Gruppen gibt, davon 4 in Barcelona: 3 Uni-Gruppen an 3 verschiedenen Barceloneser Universitäten und eine einzige, aber große weitere Gruppe. Es gibt auch einen ehrenamtlichen Vorstand für ganz Katalonien. An jedem Jahresanfang entscheiden die Gruppen über den Aktionsplan für die nächsten 12 Monate.

Wo werden die katalanischen Amnesty-Mitglieder zur Zeit aktiv? Alba betont, dass sie sich nicht nur im Rahmen der internationalen Amnesty-Kampagne, sondern schon vorher für Flüchtlinge eingesetzt haben, die inhaftierten türkischen Menschenrechtsverteidiger sind ebenfalls ein Schwerpunkt und im Oktober startete eine rein spanische Kampagne für das Menschenrecht auf eine angemessene Wohnung – die oft dramatischen Zwangsräumungen, die seit Beginn der Wirtschaftskrise 2008 viele Menschen getroffen haben, welche ihre Schulden und Hypotheken bei den Banken nicht mehr bezahlen konnten, haben ihre Spuren hinterlassen.

Beeindruckt war ich vom „Netz von Schulen für die Menschenrechte“, das ganz Spanien umfasst: Schulen melden sich an und erhalten Aktionsvorschläge per Mail. Auch der jährliche Briefmarathon von Amnesty geht, wie in Deutschland, an die Schulen – anscheinend ist man dabei in Katalonien vergleichsweise erfolgreicher als etwa in Köln: 2016 nahmen allein in Barcelona 16 Schulen am Amnesty-Briefmarathon teil – das ist vielleicht auch der Tatsache zuzuschreiben, dass es in der Amnesty-Gruppe Barcelona einen recht aktiven Arbeitskreis „Menschenrechtsbildung“ gibt. Dabei sind die Arbeitsbedingungen der Lehrer in Spanien durchaus nicht rosig; es gab Kürzungen im Bildungsbereich, es gibt zu wenige und von daher sehr belastete Lehrer. Häufig bringen sich Amnesty-Gruppen beim Briefmarathon an einer Schule ein, indem sie Tee (und Plätzchen?) bereitstellen. Bei Amnesty in Katalonien gehen die Mitglieder laut Alba gern auf die Straße, d.h. es gibt vor allem von März/April bis Oktober viele Aktionen und Stände im öffentlichen Raum – eigentlich war auch für den 10. Oktober, den internationalen Tag gegen die Todesstrafe, wieder eine Aktion auf der Straße geplant, die aber wohl der politischen Krise zum Opfer gefallen ist: im Moment, bedauert Alba, könne man in Katalonien nicht mit irgendetwas anderem als dem politischen Anliegen für oder gegen die katalanische Unabhängigkeit auf die Straße gehen, die Amnesty-Aktiven hätten sich entschlossen, erst einmal abzuwarten. Wie die internationale Organisation, so verurteilt aber auch Amnesty Katalonien öffentlich (auf ihrer Website) die „exzessive und unverhältnismäßige“ Polizeigewalt durch die spanische Guardia Civil (nationale Polizeikräfte) am 1. Oktober 2017, dem Tag des gegen den Willen der spanischen Regierung organisierten katalanischen Referendums. Außerdem verurteilt AIC das harte Vorgehen der spanischen Regierung mittels Inhaftierung und Anklagen gegen Jordi Sánchez und Jordi Cuixart, Leiter zweier katalanischer Unabhängigkeitsbewegungen, mittels Inhaftierung und Anklageerhebung..

Und wie finanziert sich das alles? Das Budget für die Amnesty-Arbeit in ganz Spanien wird zentral in Madrid erstellt, dann bekommt Katalonien sein Budget zugeteilt. Seit 2011 gibt es auch den Direktdialog, also die (bezahlte) Fördererwerbung durch Teams im öffentlichen Raum; wie in Deutschland war diese Art der Finanzbeschaffung zunächst in der Mitgliedschaft durchaus umstritten. Heute sei sie bei den Amnesty-Aktiven akzeptiert, u.a. deshalb, weil die Gruppen sich angemessen über die Aktivitäten der professionellen Werber informiert fühlten.

Zum Abschied drückt mir Alba das spanische Amnesty-Journal in die Hand; es erscheint alle drei Monate in Madrid, ausschließlich auf Spanisch. Die spanische Sektion hat Ende August die Kampagne „Nichts ist mehr dasselbe, wenn jemand verschwindet“ gestartet; ein Artikel zur Kampagne geht auch auf die Fälle von „Verschwundenen“ im spanischen Bürgerkrieg und während der Franco-Zeit ein – ein Thema, das bisher vom offiziellen Spanien totgeschwiegen wurde und nach meinen Erkundigungen auch im Geschichtsunterricht der Schulen nicht angesprochen wird. Die deutliche öffentliche Positionierung der spanischen Sektion von Amnesty International steht im Einklang mit Forderungen der UN-Arbeitsgruppe über gewaltsames und unfreiwilliges Verschwindenlassen an Spanien, endlich offizielle Ermittlungen und ggf. Gerichtsverfahren einzuleiten. Dass die spanische Amnesty-Sektion sich auch dieses dunklen Kapitels der spanischen Vergangenheit annimmt, erscheint mir konsequent, dürfte im gegenwärtigen politischen Kontext aber durchaus Mut erfordern.

 

Ursula Kleinert-Gentz